Kapitel 13 "Blind"

"Du musst mich nicht lieben; es reicht, wenn du dich mir vollkommen hingibst."

Es ist die Hölle, wie du mich berührst. Es ist die Hölle, wie du mich dabei ansiehst.
Aber am Schlimmsten ist es immernoch, wenn du mir sagst, dass du mich liebst.



"Carol?"

Kopfschmerzen reißen mich aus Erinnerungen. Bin ich blind? Meine Augen sind doch geöffnet, aber ich kann nichts sehen.

"Carol?" Mein Name wird von einer Frauenstimme in die Länge gezogen.
Ich will meine Augen berühren, aber meine Hände rühren sich nicht und meine Handgelenke schmerzen sehr - bin ich gefesselt?
Anscheinden wurde ich im Liegen gefesselt und es ist verdammt zugig hier.

"Carol?" Das gebrüllte Flüstern wird immer eindringlicher.
"H-Holly?", flüstere ich zurück.
Ein Schluchzen ist zu vernehmen.
"Gott sei dank, du lebst noch!"
Warum sollte ich denn nicht?
"Ich bin soo froh! Heute noch jemanden zu verlieren hätte ich wirklich nicht ausgehalten...", erneut schluchzt sie sehr tief. Ganz entgegen meiner Natur will ich sie umarmen, um ihr zu sagen, dass alles gut wird. Auch wenn es gelogen wäre.
"Tut dir denn auch nichts weh?"
"Warum sollte mir was wehtun?", frage ich gradeheraus, ohne vorher einen Kommentar in meinem Kopf abzugeben.
Schweigen. Ich kenne sie ja noch nicht lange, grade mal einige Stunden, aber was ich gelernt habe ist: Wenn sie schweigt, hat es nichts Gutes auf sich.
"Holly, ich kann Nichts sehen, also bitte kläre mich auf."
Glucksen, das von Schluchzen sowie leisem Wimmern abgelöst wird.
Mein ganzer Körper ist unfähig sich zu bewegen und somit kann ich mich auch nicht von der Augenbinde lösen, die ich wohl umgebunden bekommen hab. Hände sowie Füße sind fest verschnürt und ich scheine auf einer Art Tisch zu liegen. Sehr unbequem das Ganze.
 "Ich- ...Ich kann dir da auch grade nicht helfen. Ich bin auf einem Stuhl festgebunden...", dass sie weint ist kaum zu überhören.
"Siehst du auch Nichts?"
"Kann man nicht sagen, nein."
"Soll heißen?"
"Ich hab zuviel gesehen und bin...Schockblind."
"Bitte was?"
Abermaliges Schweigen.
"Holly, nun erzähl!"
"Schrei mich nicht an, ich bin sensibel! ... Und blind!"
Jetzt würde ich sie am Liebsten schlagen, hoffentlich muss ich ihr in Zukunft nie wieder was so aus der Nase ziehen. Nach kurzem zögern, kann ich fast hören, wie sie mit dem Mund zum Sprechen ansetzt.
"Sie haben es mit dir getan."
"Was?"
"Na 'es'!"
"Boah man, Holly, haben sie mich ge..." Natürlich. Dass ich jetzt erst verstehe, was sie meint...und sie musste die ganze Zeit zusehen?
"Das tut mir so leid, Carol...ehrlich!" Nur noch Gestotter und Gestammel von ihrer Seite, was ich nicht richtig verstehen kann; das muss ich aber auch nicht. Es ist mehr als hörbar, dass sie furchtbar gelitten haben muss, es mit anzusehen.
"Nein, mir tut es leid. Das hättest du nicht sehen sollen."
"Er- ...Erinnerst du dich daran?" Könnte ich sie doch bloß umarmen.
"Sollte ich? Seit wir deine Schwester fanden war alles dunkel."
"Oh, dann hattest du ja...Glück. Also, ich meine, du weißt schon, nicht insgesamt, aber..."
 Ich lächle: "Ich verstehe schon, keine Sorge. Was macht deine Blindheit?"
"Hm, also vor einer Stunde sah ich gar nichts, aber langsam ist alles nur noch verschwommen. Wir machen Fortschritte, könnte man sagen."
"Wir?"
"Ach, das sagt man doch so."
Oh Holly. Ich wünschte wir wären uns unter anderen Umständen begegnet. In der Schule vielleicht oder auf einem Konzert oder sonst irgendwo. Und jetzt liege ich hier, mit verbundenen Augen, es ist verdammt kalt und zugig und...
"Ähm, Holly..?"
"Ja?"
"Bin ich...", ich schlucke kurz, " ...nackt?"
"...äh, ja?"
Verdammte Scheiße, das fehlte grade noch.
"Dann hast du bestimmt Fragen, oder? Warum ich schon vor dem Überfall hier Verletzungen habe und sowas, oder nicht?"
"Nein". Nein?
Verblüfft drehe ich mein Gesicht nach rechts, von wo ich ihre Stimme höre:"Warum nicht?"
"Ich schätze, dass der Typ am Telefon böse...Dinge mit dir angestellt hat und naja...Du wirktest grade nicht sehr schockiert, als ich dir sagte, dass sie dich wie einen Joint rumgereicht haben...und...verzeih meine Ausdrucksweise... Wenn ich es ausspreche, wie ich es wollte, müsste ich wieder weinen."
"Schon ok. Jah, das Telefonat...Das habe ich ganz vergessen."
"Ich glaube, das alles hier, inklusive die Begegnung mit dir, werde ich nie....Oh nein."

Eine Tür wird aufgeschlossen und mit schnellem Schritt nähert sich jemand. Holly ist gänzlich verstummt.