Dienstag, 28. Dezember 2010

Kapitel 10 "Dein Herz" [Short Chapter]

 Als ich 15 war, war ich verliebt. Unsterblich - so habe ich es zumindest geglaubt. Wie gesagt, ich war 15, da hat alles ein anderes Gewicht, schätze ich.



Meine Familie war und ist eher Mittelständisch. Weder ich noch meine große Schwester besaßen jemals irgendeine Spielekonsole oder Brettspiele, teure Klamotten waren ebenfalls tabu. Mutter sagte immer, sonst würden wir mit dem Gehalt unseres Vaters nicht auskommen.
Ich glaubte das eine lange Zeit, bis eine merkwürdige Frau an unsere Tür klingelte, die teure Markenware am Leib trug und brüllend von mir forderte, den Dreckskerl von Mann an die Tür zu holen, der ihre Miete seit Monaten nicht mehr bezahlt.
Denkt nun nicht, sie hätte sich an der Tür geirrt. Mein Vater rannte zur Haustür, schlug mich zur Seite, sodass ich gegen eine Kommode flog und begrüßte sie mit den Worten: "Darling, Schatz! Was äh, machst du denn hier? Woher kennst du diese Adresse?"
Mir fiel alles aus dem Gesicht und ich war wie festgebunden auf dem Fußboden geblieben. Nicht, dass mein schmerzender Rücken mir erlaubt hätte aufzustehen.
"Tja, es gibt heutzutage ein paar einfache Verfahren jemandes Adresse rauszufinden, Darling." Das letzte Wort brachte sie mit einem richtigen, dreckigen Unterton heraus.
"L-lass uns doch lieber oben weiterreden", stotterte er ihr zu, wies ihr den Weg nach oben und wandte seinen strengen Blick an mich. "Holly, du hast nichts gesehen, verstanden?!"
Schweigend starrte ich ihn an. Die Tonlosigkeit wird mir mit einer Faust im Gesicht entlohnt.
"Ob du verstanden hast, habe ich gefragt!" Seine Stimme überschlug sich.
"...ja", hauchte ich, "Ich habe verstanden, Vater."
Ohne ein weiteres Wort ging er nach oben und keine 5 Minuten später hörte ich permanentes Stöhnen von ihr und dreckiges Gekeuche von ihm.
Die Lähmung ließ nach und ich humpelte ins Badezimmer um mir das Blut aus dem Gesicht zu waschen. Nach vorne beugen tat sehr weh, das weiß ich noch sehr genau.
In solchen Momenten fehlte er mir ganz besonders, denn anders, als die meisten Mädchen in meiner Klasse war ich in einen Toten verliebt.
Nicht so, wie ihr jetzt wahrscheinlich wieder denkt. Meine Liebe zu ihm entdeckte ich erst, kurz bevor er starb.
So wirklich erklären konnte es mir niemand, was er nun hatte, aber ich bekam häufig mit, dass er in der Schule fehlte und nicht nur zu Hause, sondern oft im Krankenhaus verweilte.
Meine Besuche waren gegen Ende täglicher Natur und die Schwestern kannten mich beim Namen - Er am Ende hingegen erkannte mich nicht mal mehr.
Das Leben ist unfair und es ist zum Kotzen, aber ich kann und will es nicht wegwerfen. Er würde nicht wollen, dass ich einfach aus dem Leben ginge.

Mein Gesicht war nur noch geschwollen, dafür aber blutfrei. Heute würde es wieder soweit sein: Ein weiterer Weglaufversuch musste gestartet werden und meine Schwester musste so schnell wie möglich mit mir kommen, denn wenn Vater mit der Fremden fertig ist, wird er...sie zu sich holen.
Panisch durchsuchte ich alle Zimmer im Erdgeschoss in der Hoffnung, sie zu finden. Fehlanzeige. "Gloria", flüsterte ich, "Gloria, bist du hier irgendwo?"
Wenn sie oben war, hätte ich nichts für sie tun können, denn dort hörte er alles, egal, wie beschäftigt er war.
Ich schnappte mir schnell das Haustelefon und wählte ihre Handynummer. Freizeichen. Erstes Aufatmen.
Herzklopfen machte sich mehr und mehr breit. Meine Lippe blutete schon wieder das ganze Kinn voll und die Schmerzen wurden schlimmer.Freizeichen. 'Geh endlich ran!', fauchte ich in Gedanken.
"J-ja?" Gloria! "Schwester, wo bist du grade?", hauche ich in die Muschel.
"Holly...ich bin bei einem Freund. Ist was passiert?", Besorgnis schwang bedeutend in ihrer Stimme.
"Wir müssen weg von hier. Heute noch, am besten jetzt. Vater ist beschäftigt mit so einer Alten."
Kurzes Schweigen. "Du meinst, er wird dann wieder..."
"Ja, das meine ich!", fiel ich ihr ins Wort. "Deshalb müssen wir weg, so schnell es geht."
"Holly...ich....", wieder schwieg sie.
"Was hält dich auf? Er tut dir so schreckliche Dinge an, Gloria! Komm bitte mit!" Tränen flossen unaufhörlich mein Gesicht hinab.
"Ich kann nicht. Holly geh du, ich werde ihn später beschäftigen. Dich macht das doch auch kaputt, vielleicht sogar mehr als mich." Sie klang so wahnsinnig sicher und gefasst.
"Das kann nicht dein Ernst sein...Er zerstört dich! Gloria, verstehst du nicht?!" Von da an brach meine Stimme ab.
"Es wird alles gut, Holly. Verstecke dich gut, und ich hole dich, wenn alles vorbei ist. Versprochen, Kleines." Die Sicherheit in ihrer Stimme ließ nicht nach, dafür konnte ich nur noch schluchzen.
"Lauf, Holly. Deine Schwester beschützt dich."'
'Dabei will ich doch dich beschützen.' Dachte ich in mich hinein. Sie legte auf.

Damals lief ich weg für nur eine Nacht. Ich bezog am nächsten Tag Dresche, bis ich nicht mehr wusste wo oben und wo unten war. Meine Schwester brachte Vater dazu aufzuhören, indem sie ihn an der Hand nahm und mit ihm hochging.
"Geh nicht mit ihm hoch, Gloria!", kreischte ich heraus. "Ich tue das doch, damit du das nicht musst!"
Sie lächelte sanft auf dem Weg nach oben. "Und ich", sagte sie mit Tränen in den Augen, "Tue das, damit du nicht verletzt wirst."

Damals verstand ich ihre Logik noch nicht.
Und als ich am selben Tag noch sein Grab besuchte und bitterlich weinte, fing die Sonne an zu scheinen und ich dachte mir nur: 'Fick dich, Welt. Kannst du nicht mal im rechten Augenblick mit mir weinen?'

2 Kommentare:

  1. Wieder einmal der Wahnsinn. Wieder hänge ich mitten in der Geschichte und wünsche mir schnell einen weiteren Teil! Ich möchte dringend wissen wie es weitergeht. Hatte ein bisschen Pipi in den Augen beim Lesen. Gut gemacht, mein Amselchen!

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  2. Irgendwie kann man nur noch Schluchtzen.....hab heut alles auf einmal gelesen.....dieser Stil abwechselnd die Sichtweisen zu ändern gefällt mir besonders gut daran. Dieses Talent darf niemals versiechen......bitte mach weiter :-)
    Freue mich schon auf ein neues Kapitel

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