Freitag, 6. Juli 2012

Kapitel 18 "Sauf mich schön!"

Meine Füße tragen mich nicht mehr und in meinem Magen macht sich ein komisches Gefühl breit. Ich kann es nicht wirklich erklären, aber es liegt nahe, dass meine Glückssträhne nicht mehr lange bestehen bleibt. Natürlich mag ich mich täuschen. Das kommt vor - aber ehrlich. Wie sollte jemand wie ich dauerhaft Glück haben oder glücklich sein? Obwohl mich die Erinnerung an den Pool einfach nur wohlig stimmt.
"Carol? Haaaallo!"


Huch, redet sie schon länger mit mir? "Äh ja, was, Holly?"
"Du hast mir wieder nicht zugehört, oder?" die Arme vor ihrer Brust verschränkend sieht sie mich argwöhnisch an.
"Es tut mir leid", sage ich während ich ihr den Kopf streichel und sanft eine Strähne aus dem Gesicht nehme.
"Na gut", ihre Miene erhellt sich, "Dort drüben ist ein Ort, sieht etwas größer aus, als der Vorige. Sollen wir hier schlafen?"
"Klar, warum nicht? Wird ja auch Zeit, dass wir einen Unterschlupf finden." Oh ja, meine armen Füße, die Rast ist nah.

Am Ortsschild vorbei geschlurft merken wir, dass es bis zum Ortskern doch recht weit ist. Tja Füße, zu früh gefreut. Ich seufze tief.
Holly zupft an meinem Kleid "Hey, da drüben ist eine Bushaltestelle, und es kommt ein Bus!"
Yeah Baby!
Hastig rennen wir über die Straße, steigen in den Bus und fragen nach, wo wir aussteigen müssten um im Ortskern zu übernachten.
Freundlich erklärt der Busfahrer, dass er uns einfach bescheid gibt, wenn es soweit ist. Dort wo er uns rausließe gäbe es direkt ein kleines Hotel, das in privater Hand wäre.
So viel Glück...mein Magen verknotet sich weiter. Wahrscheinlich bin ich nur ein gebranntes Kind. So wird es wohl sein.
Über eine halbe Stunde gondeln wir mit dem Bus umher, bis der Fahrer uns sein OK gibt auszusteigen.
Er weist uns noch quer über die Straße, da sehen wir schon ein kleines Schild, beziehungsweise eine kleine Tafel auf der "30€ die Nacht mit Frühstück inklusive" steht.
Wir bedanken uns und checken sofort für 2 Tage ein. Etwas Erholung kann nie schaden und so schnell wird man uns in dem Getümmel eh nicht finden. Da fällt mir die "Du Darfst" Werbung mal wieder ein. Nun denn: Ich darf!

Beim Essen in dem kleinen Restaurant im Erdgeschoss des Hotels steckt man uns einen Flyer zu. "Hm, die haben hier im Keller einen kleinen Club, wo Live Musiker auftreten und so'n Kram", fasse ich zusammen.
"Bäh nee, da hab ich so gar keine Lust zu...ich werde gleich schlafen wie ein Stein!", lustige Schnarchgeräusche untermalen ihren Vorsat für heute Abend.
"Hast du was dagegen, wenn ich mir das da unten mal ansehe? Wir sind nur 2 Tage hier, da sollte ich lieber heut als morgen versacken, wenn du verstehst".
Sie winkt ab: "Mach du nur, hier gibt es ja keinen Pool."
"Was willst du mir damit sagen?"
"Öh...Nix."
"Soso."
Ich konzentriere mich wieder auf mein Essen, das für den günstigen Preis durchaus lecker ist. Obwohl, was kann man an einer Gemüsepfanne groß falsch machen?
Holly scheint satt zu sein, denn sie steht auf, lässt etwas Geld auf dem Tisch liegen und geht Richtung Treppen, die nach oben führen.
Super. Auf Zickenterror habe ich so gar keine Lust zur Zeit. Naja, wer hat dazu schon Lust?
20:36 Uhr. Die Bar unten müsste schon geöffnet haben.

Der Sache auf den Grund gehen wollend nehme ich den Weg nach unten. Die Wendeltreppe hat ein hübsches, dunkles Gitter, das aussieht, als bestünde es aus Efeu. Je tiefer ich gehe, umso lauter höre ich Gespräche von ein paar Menschen. Beim Eintreten stelle ich fest, dass es nach mehr Leuten klingt, als wirklich da sind. Ganze 8 Gäste sitzen auf den dunklen Möbeln, die dem Stil der 20er Jahre nachempfunden sind. Sogar Chaiselongue Sofas stehen in einer Ecke gemütlich beieinander.
Bordeauxrote Wände mit Stuck an den Decken und floralem Muster, das aufgemalt zu sein scheint.
Stilistisch schlägt mein Herz hier gleich viel höher, als im Rest des  Hotels. Es ist zwar hübsch und sauber, sieht aber in den oberen Etagen eher aus wie eine gepflegte Rentnerwohnung. Ist nicht schlimm, aber hey, ich bin 19 Jahre alt und mag es eben schick.
"Hey, du warst noch nie hier, oder?", der Barkeeper winkt mich zu sich.
Verwirrt zeige ich auf mich und frage "Meinen Sie mich?"

Ohne zu antworten winkt er bestimmter als vorher. Zögerlich setze ich mich auf einen Barhocker und muss etwas zurechtfummeln, dass ich nicht mit halbnacktem Hintern draufsitze. Kleider sind immernoch etwas ungewohnt für mich, vor allem, wenn sie nicht bodenlang sind.
"Du bist zum ersten Mal hier, oder?", wiederholt er freundlich die Frage.
"Äh, ja. Ich bin nur auf der Durchreise", nervös flechte ich an meinen Haaren rum. Der Barkeeper ist zwar ein kleines bisschen kleiner als ich, hat aber halblanges, leicht gewelltes, dunkles Haar und sympathische braune Augen.
"Auf Durchreise? Wow, das klingt, als hättest du viel vor. Also, für gewöhnlich kommen hier nur Stammkunden runter, aber keine Panik, es ist für Jedermann geöffnet."
Kurz halte ich den Atem an bei dem Wort Stammkunden, atme dann aber, mehr als erleichtert, wieder aus.
"Jetzt haben Sie mich erschreckt. Ich dachte schon, ich bekäme hier keinen Drink."
Er lacht. "Nein, nein, keine Sorge. Tut mir leid. Da ich davon ausgehe, dass ich älter bin...können wir beidseitig beim "Du" bleiben? Siezen ist ja ganz nett, aber ich bin 23 und naja...", ein verlegenes Lächeln huscht über sein Gesicht.
"Oh, natürlich...", ich halte meine Hand hin, "Ich bin Carol."
Er schlägt ein: " Ich heiße Tom. Gut, da wir das hinter uns gebracht hätten, kommen wir zu meinem Job...was möchtest du trinken?"

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Blöde Kuh! Dumme Ziege! Rabenmutter! Äh, Moment, sie ist ja gar keine Mutter...Egal, mit Pech ist sie es ja jetzt, hähä....hä...hä. Hmh.
Erbost lasse ich mich hart aufs Bett fallen.
Warum macht es mir auch so viel aus? Es ist ihr selbst peinlich, das hat sie gesagt. Sie ist Single. Eigentlich sollte sie so viel Sex haben, wie sie bekommen kann. Wieso stößt es bei mir so sauer auf?!
Wie ein Kleinkind strample ich mit meinen Füßen in der Luft herum, bis es mir zu anstrengend wird.
Leblos bleibe ich darauf liegen.
Sie ist hübsch, grazil und einfach zu lieb für diese Welt. Verständlich, dass die Kerle ihr zu Füßen liegen, ich tue es schließlich auch.  ... ... ... Moment, was denke ich da?!
Schlagartig setze ich mich aufrecht hin.
Ich...liege ihr zu Füßen? Och bitte, nein! Nicht schon wieder!
Abermals lege ich mich mit Schwung hin, verschränke die Arme vorm Gesicht und schluchze.
"Das erklärt Einiges..."

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Stunden sind vergangen und jeder weitere Gin Tonic schmeckt besser als der Vorige. Myamm.
So blau war ich zuletzt, da hat Nathan mich abge.... Nein, daran will ich nicht denken.
"Alles ok, Carol?", besorgt verrenkt sich Tom um mir ins Gesicht sehen zu können. "War's zuviel?"
"Nein, nein!", ich schüttelte mit dem Kopf, "Alles gut, ehrlich! Musste nur an etwas Unangenehmes denken, das ist alles."
Die Erleichterung ist ihm ins Gesicht geschrieben. "Dann ist ja gut. Ich dachte schon, ich müsste dich zum Arzt tragen."
"Das ginge doch gar nicht, wer soll dann die Bar behüten?"
Tom kichert. "Es ist außer uns niemand mehr hier."
Oh. Am Tresen festkrallend drehe ich mich um und stelle fest: Es stimmt. Alles leer, nur der Flügel steht noch im schönen Kerzenschein auf seinem Podest.
"Kannst du Klavier spielen?", fragt er während er ein Glas poliert.
"Nur ein paar Stücke...nichts Besonderes. Ist auch Jaaaahre her."
Ich bemerke gar nicht, dass er von seinem Platz gewichen ist und mir nun seine Hand hinhält.
"Ich würde gern was hören, wenn es dir nicht zu unangenehm ist."
Errötend - ob es vom Alkohol kommt? - nehme ich seine Hand und rutsche vorsichtig vom Barhocker.
Hey, ich wanke weniger, als ich dachte, dass ich würde. Strike!
Oh! Zu vorschnell, da stolperte ich doch leicht über eine einzige Stufe. Was solls, Tom hält mich ja fest an der Ha...Hüfte? Seit wann ist seine Hand denn dort?
Sichtlich verwirrt nehme ich auf der kleinen Bank vor dem Flügel platz. Ein wunderschöner Flügel. Sogar von 'Schimmel'. Nobel geht die Welt zu Grunde.
Die ersten 15 Töne sitzen so gar nicht, aber je länger ich spiele, umso besser klingt es tatsächlich.
Da meine Finger nun etwas weicher gespielt sind setze ich zu meinem Lieblingslied an. Die Mondscheinsonate - aber nur den ersten Satz. Der hat, meiner Meinung nach, am meisten Gefühl und Pathos.
Während ich so spiele fallen mir so viele Dinge ein, die mich traurig machen. Oder auch wütend. Nathan. Er hat mich kaputt gemacht, das ist aber kein Grund liegen zu bleiben, wie ein geschundener Hund. Nicht für mich.
Nach so vielen Jahren wieder Spaß am Klavier zu haben ist wahnsinnig befreiend und schön. Ich bemerke gar nicht, wie ich beim Spielen ein paar Tränen vergieße. Anders als früher lächle ich aber dabei.
Der erste Satz dauert knapp 6 Minuten und als ich die letzten Töne anschlage und vollkommen entspannt die Hände von den Tasten löse, spüre ich, wie seine Blicke mich durchbohren.
Sein Mund steht offen, als wolle er Fliegen fangen.
"Bin ich zu betrunken, oder war das ganz passabel? Ich glaube, mit den vielen Gin Tonics klingt alles gut", verlegen reibe ich mir den Hinterkopf mit meiner rechten Hand.
"Das...äh...", Tom formt wild irgendwelche Dinge mit seinen Händen und stammelt dabei.
"Ja?"
"DAS WAR IRRE!"
Yay, jetzt habe ich ein Pfeifen im Ohr. "Wirklich?!"
"Carol, das...wow. Ich habe noch nie so viel Gefühl in einem Klavierspiel gehört! Und ich bin nicht irgendjemand, ich höre hier fast täglich Leute auf den Tasten rumzimmern."
"Danke", ich lächle breit über das ganze Gesicht. Siehst du Vater, es hat sich gelohnt, mich auf die Klavierschule zu schicken! Mit wem rede ich da eigentlich? Und das auch noch per Gedanken?
"Carol?"
"Ja?"
Ohne es zu ahnen küsst mich Tom auf den Mund. Vermutlich sehe ich dabei wie ein Eichhörnchen aus, dessen Nuss grade geklaut wird.
Es liegt vermutlich am Alkohol, dass ich mich schnell auf seine Küsse einlassen kann, und ich stelle mit Entzücken fest, dass er noch zärtlicher ist, als der Mann vom Pool. Wie er wohl heißen mag?
"Carol?" Als wolle er mich hypnotisieren starrt er in meine Augen. So ein schönes Braun, dass ich es anfassen möchte.
Sanft hebt er mich hoch - scheinbar ist er kräftiger, als er aussieht; oder ich leichter, als vermutet - und trägt mich in einen Raum, der neben dem Getränkelager ist.
Das Zimmer ist klein, hat aber ein Bett, eine kleine Couch, einen Tisch und einen Fernseher. Was mir besonders gefällt: Er hat Spots an den Decken, die Mobiles aus CDs und kleinen Discokugeln beleuchten. Überall diese bunten Farben, als säße man in einem Prisma. Inmitten eines Regenbogens.
Vermutlich vergehen hier Stunden, aber es fühlt sich an, als wäre alles ein einziger Moment.
Tom sieht schön aus in diesem Prismazimmer. Und ich mag es, wie er meinen Namen stöhnt und zwischendrin keucht.
Sanft fasse ich in seine halblangen Haare und verliere schlussendlich doch die Besinnung.

















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